Als Zeichen gegen Verschwendung und für das Teilen von Essensresten verzehrt eine Gruppe von Studenten in der Mensa der Lüneburger Leuphana-Universität das, was andere Kommilitonen als Essensrest auf ihren Tellern übriggelassen haben. Sie holen die Teller vom Rückgabe-Förderband und essen die Reste der anderen. Studentin Inka Becker nennt dies „Bändern“ und greift regelmäßig zu. Die „Reste-Esser“ haben nun die Öffentlichkeit auf ihre Aktion aufmerksam gemacht und die Diskussion beflügelt. Sie wollen eine positive Alternative zur Lebensmittelverschwendung aufzeigen und ihre Mitstudierenden dazu bewegen über das sinnlose Wegwerfen von Lebensmitteln in der Gesellschaft nachzudenken. Mit den gesammelten Tellern und sauberem Besteck setzen sie sich an einen Tisch in der Mensa und verzehren die Reste, die ansonsten per Band in der Spülküche landen und teuer entsorgt werden müssten. Doch: Darf „Bändern“ sein? Welche gesundheitlichen Risiken bestehen?
Interviews zu Pro & Contra: Interview Bändern in der Mensa_gv-praxis_pet
PRO
Sönke Nimz, Geschäftsführer des Studentenwerks OstNiedersachsen
Ich sehe das Thema entspannt. Wir vom Studentenwerk OstNiedersachsen haben nichts gegen das „Bändern“. Es lässt sich ohnehin schlecht verbieten. Wo sollten wir da anfangen? Auch beim gemeinsamen Essen am Tisch wird mal von anderen Tellern probiert. Wo also ist die Grenze zwischen erlaubt und verboten? Es ist eine Form des politischen Protestes. Jedoch finde ich es ist nicht der richtige Ansatzpunkt. Umfragen zur Zufriedenheit der Mensagäste haben ergeben, dass die Portionen, die in der Linienförmigen Speisenausgabe der Leuphana-Universität ausgegeben werden die Schulnote „2“ erhalten und die Qualität der Speisen positiv bewertet wird. Bei den Portionsgrößen wurde eine „3“ gegeben. Die Portionen könnten also sogar noch ein bisschen größer sein. Inka Becker und den Reste-Essern geht es mit ihrer Aktion wohl darum, dass die Studierenden über das sinnlose Wegwerfen von Lebensmitteln nachdenken. Fakt ist, dass unsere Haftung mit der Ausgabe der Speisen endet. Was die Studierenden tun und wie sie die Speisen verzehren, liegt außerhalb unseres Einflussbereiches. Das gesundheitliche Risiko durch „Bändern“, das wir durchaus sehen, ebenfalls. Sinnvoller fände ich es, wenn die Protestgruppe mit Ständen oder Plakaten direkt auf die Gedankenlosigkeit der Lebensmittelverschwender aufmerksam macht. In der Gemeinschaftsverpflegung ist Lebensmittelverschwendung schon lange ein Thema, welches auf allen Ebenen gezielt angegangen wird.
Foto: Studentenwerk OstNiedersachsen
BU: Sönke Nimz, Geschäftsführer des Studentenwerks OstNiedersachsen
CONTRA
Gesa Tüchler, Ärztin im Infektionsschutz des Kreis-Gesundheitsamtes Landkreis Lüneburg
Verbieten kann und will das Gesundheitsamt die Aktion nicht – das könnte nur der Betreiber der Mensa auf dem Campus, also das Studentenwerk. Wer bei der Aktion mitmacht, muss aber wissen: Wenn jemand Essen von einem fremden Teller isst, ist immer ein gesundheitliches Risiko dabei, es ist aber relativ gering. Dennoch kann man sich mit Infektionskrankheiten wie z.B. Durchfallerkrankungen, Grippe, Hepatitis A oder Herpes anstecken. Besonders in der Winterzeit kommen Infektionskrankheiten häufig vor. Manchmal braucht es nur wenige Keime, um sich anzustecken: Beim Norovirus etwa reichen zehn Keime. Zudem wissen die Reste-Esser nicht, wer zuvor vielleicht in das Essen geniest hat oder sich einen Spaß erlaubt. Bei Fingerfood weiß man nicht, wo die Kommilitonen vorher die Hände gehabt haben. Nicht jeder wäscht sich die Hände, bevor er zum Essen geht. Es gibt also immer ein Restrisiko. Das Gesundheitsamt und die Lebensmittelkontrolleure haben hier aber keine Handhabe. Lediglich wenn der Koch bewusst das Essen – zum Beispiel ein Steak – warm macht und nochmals ausgibt, wäre das ein Verstoß. Ich persönlich würde keine Reste vom Band essen und auch meinen Kindern davon abraten. Jedes Kind lernt doch heute schon im Kindergarten oder in der Schule, dass es sich nur so viel nimmt, wie es auch essen kann. Hier sollte angesetzt werden und die Eigenverantwortung bereits bei der Wahl des Gerichtes und der Menge gestärkt und möglich gemacht werden. Dies könnte in der Mensa über kleinere Portionen und die Möglichkeit eines Nachschlags für kleines Geld ermöglicht werden. Trotz allem wird es immer vorkommen, dass einem etwas nicht schmeckt und so Essensreste entstehen.
Foto: Landkreis Lüneburg
BU: Foto: Gesa Tüchler, Ärztin im Infektionsschutz des Kreis-Gesundheitsamtes Lüneburg
O-Ton der Aktivisten
HINTERGRUND:
„Gegen Verschwendung & für das Teilen von Essensresten“
Inka Becker, „Bändernde“ Studentin der Leuphana-Universität Lüneburg
Unsere Aktion ist kein Protest gegen irgendjemanden, sondern eine Ermutigung zu einem Bewusstmachen und Umdenken gegen das Verschwenden und für das Teilen von Essensresten. Gebändert wird an der Leuphana schon seit einiger Zeit, aber seit Oktober 2017 ist die Gruppe rasant gewachsen, sodass wir momentan insgesamt 20 mehr und weniger aktive bändernde Studierende sind. Die Aktion wird von den Mensabesucher*innen immer mehr akzeptiert und gut geheißen. Die skeptischen Blicke werden weniger und stattdessen kommen immer mehr Menschen zu uns, um ihr Essen direkt anzubieten, sodass wir es nicht erst vom Band wieder runterholen müssen. Dadurch lässt sich auf jeden Fall ein Umdenken von Ekel/Skepsis zu Akzeptanz/Gutheißen feststellen. Jedoch glauben wir nicht, dass unsere Aktion die Mehrheit der Mensabesucher*innen dazu bringt, aktiv am Verhindern von Verschwendung teilhaben zu wollen (z.B. kleinere Portionen zu bestellen, oder ihr Essen anzubieten oder einzupacken). Trotzdem erfüllt die Aktion insofern ihren Zweck, dass am Ende des Tages effektiv weniger Essen weggeschmissen wird und die ein oder andere Person vielleicht sogar zum Nachdenken angeregt wurde.
Die Interviews führte Petra Pettmann M.A., presse@pettmann.de