Von Petra Pettmann M.A. , 2. Oktober 2022
Sarsinas Ursprünge gehen auf die umbrische Zeit zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert vor Christus zurück. Erst im Jahr 266 vor Chr. wurde die Stadt von den Römern erobert. Auch sie liegt am Fluss Savio in der idyllischen Romagna. Für mich als Journalistin und studierte Archäologin, die sich mit EAT HISTORY auf die Römerzeit spezialisiert hat, ist Sarsina natürlich ein ganz besonderer Ort: Von hier stammt der altrömische Komödiendichter Titus Maccius Plautus, der 254 v.Chr. im damals noch kleinen Bergdorf Sassina – dem heutigen Sarsina – geboren wurde und als einer der ersten und produktivsten Komödiendichter im alten Rom gilt. Von ihm stammen rund 21 Komödien, darunter die erfolgreichen Komödien Addictus und Saturio. Auch Goethe verarbeitete fünf Lustspiele des Plautus fürs deutsche Theater. Molières Amphitryon stammt ursprünglich auch von Plautus, aus Aulularia wurde „Der Geizige“ (Aulularia – la commedia della pentolina). Das Haus des Plautus steht noch heute, erzählt Tour-Guide Ivan.
In der Arena Plautina Sarsina auf dem Hügel Calbano, einem modernen Freilufttheater, welches eingebettet in die Hügellandschaft in diesem Ort liegt, werden seit über sechzig Jahren in den Sommermonaten Juli und August die Plautus-Festspiele veranstaltet. Auch neuzeitliche Stücke sind dabei. Hier treffen sich Theaterliebhaber aus ganz Italien.

Auf dem Hauptplatz von Sarsina steht dominant die römisch-katholische Kathedrale Basilica Concattedrale Santa Maria Annunziata e San Vicinio, die um das Jahr Tausend erbaut wurde. Die Kathedrale steht auf antiken römischen Vorbauten. Ein Taufbecken mit stilisierten Ziegenköpfen könnte noch aus dieser Zeit stammen. Fotografieren war im Inneren leider verboten. Und hier beginnt auch die dunkle Geschichte der Stadt: Im rechten Seitenschiff der Kathedrale, der romanischen Kathedrale San Vicinio, die direkt an diesem Platz auf einem Vorgängerbau aus römischer Zeit errichtet ist, sind die Reliquien des Heiligen San Vicinio, dem berühmt, berüchtigten Bischof und Exorzisten verwahrt, der hier im 3. und 4. Jahrhundert nach Christus Bischof von Sarsina wurde. Der Segen, den Pilger durch das Auflegen der wundertätigen „Kette“ des Heiligen Vicinio erhalten, zieht jährlich Tausende an. Wir nehmen auf hölzernen Stühlen Platz und erhalten die Absolution durch den heutigen Priester. Am Ende seiner Andacht legt er jedem von uns das legendäre wundertätige Halseisen „Catena di San Vicinio“ um den Hals. Es erinnert mich an ein Folterinstrument der heiligen Inquisition. Das Metall kühlt für den Bruchteil einer Sekunde meinen Nacken. Bin ich nun von allem Bösen erlöst? Schön wäre es! Etwas beklommen erheben wir uns und drängen ins Sonnenlicht.

Auch der Hauptplatz von Sarsina ist nach Plauto benannt. In den Arkadengängen rund um die „Piazza Tito Maccio Plauto“ reihen sich Plautos Komödien in Form von Schautafeln aneinander. Kleine Geschäfte, Bars und Restaurants beleben den Ort. Hier spielt sich das Leben der Einheimischen ab. Touristen findet man kaum. Aber gerade das macht den Ort so sympathisch!

Ein Besuch der „Taverna di Plauto“ in der Via Cesio Sabino bringt uns wieder auf weltliche Gedanken.
Durch mehrere, kleine, urige Gasträume, gelangt man in der Taverne auf eine ruhige Terrasse im Hinterhof. Sonnenschirme spenden Schatten. Hier trifft man sich zum ausgiebigen Mittagessen mit Freunden und der Familie. Die Stimmung ist angenehm freundlich, die junge Wirtin Naty erklärt, was der Speisenplan heute verspricht. Ihr und ihrem Mann Averardi, einem wahren Kochprofi, gehört das nur auf den ersten Blick unscheinbare Restaurant. Wir wählen zweierlei Sorten Pasta, die typisch für die Region sind. Mit Steinpilzen, aber auch mit Radicchio. Letzteres ist gewöhnungsbedürftig für unsere Gaumen. Die Steinpilze dagegen göttlich. Eigentlich war ich schon nach der Vorspeisenplatte „Tavolozza di Plauto“ mit Käse-, Salami- und Schinkenspezialitäten, satt. Dazu gab es ein selbstgemachtes Feigen-Chutney, welches besonders zum Käse fantastisch schmeckte. Hauswein und Wasser, zum Dessert ein Zitronen-Sorbet, zum Schluss einen Cafè. Eigentlich müsste es heißen „Leben wie Plauto in Sarsina“ und nicht wie „Gott in Frankreich“. Ein Blick auf die Speisenkarte überraschte positiv: die Preise der Speisen waren absolut moderat. Dies, obwohl Averardi Kochprofi ist. Mit Leidenschaft für das Kochen, lokalen Zutaten und Höflichkeit führt das Paar seit 2010 das Restaurant. Gute Zutaten und die „Aromen der Vergangenheit“ prägen das Angebot. Die Zutaten sind saisonal und regional, mit einer Mischung aus Tradition und Kreativität. Mich als Food-Journalistin haben die Speisen überzeugt. Authentischer geht’s nicht. Ein echter Geheimtipp!
Unsere Entdeckertour in Sarsina ist noch nicht beendet. Etwas müde und gut gesättigt geht es ins Museum der Stadt.

Berühmt für seine wunderbaren Mosaiken und Grabmonumente ist das 1890 gegründete archäologische Museum „Museo Archeologico Nazionale di Sarsina“. Es ist nur wenige Schritte vom Restaurant entfernt und enthält hauptsächlich lokale Exponate der römischen Epoche vom 2. Jahrhundert bis zum 1. Jahrhundert vor Christus. Neben weiteren Grabmonumenten und Gedenksteinen, die entlang der einstigen an einer Römerstraße gelegenen römischen Nekropole von Archäologen ausgegraben wurden, befindet sich auch das dreizehn Meter hohe Mausoleum des Rufus. Der unterste Sockel stellt Griechenland dar, die Mitte Rom, das Dach krönen an ägyptische Sphingen erinnernde Genien.

Typisch für dieses Grabmonument ist der große Sockel, in dessen Mitte das Heiligtum eines Tempels mit hohen Türen – typisch für die damalige Zeit – abgebildet ist. Das Monument stammt von der Nekropole Pian di Bezzo, hat einen quadratischen Sockel von 4,62 m und eine Höhe von genau 13,35 Metern. Ursprünglich waren vier Personen, zwei Männer und zwei Frauen dargestellt. Nur der Name des Rufus konnte identifiziert werden. Vier an Sphingen erinnernde Genien krönen das pyramidenförmige Dach.

Nicht weniger imposant ist das raumhohe Bodenmosaik Der Triumph des Dionysos mit Darstellungen exotischen Beuteguts eroberter Ländereien aus dem dionysischen Themenkreis. Die abgebildeten Löwen, Gazellen und Vögel deuten auf einen Triumpfzug aus Nordafrika. Neben Dionysos steht der Satyr Pan. Die vier Himmelsrichtungen werden durch die vier Winde dargestellt. Dazu gibt es im Museum Bleiwasserrohre, einfachere Mosaike, ein rekonstruiertes Triclinium – das Speisezimmer der betuchten Römer, und hochwertiges Tafelgeschirr aus Metall, Glas und reich verzierter Terra Sigillata. Auch die Vorgeschichte wird in einigen Glasvitrinen bedacht. Da wären zum Beispiel die Umbr(i)er, die das Savio-Tal vor den Römern besiedelten. Der Besuch des Museums lohnt auf alle Fälle. Wer römische Reanactment-Feste liebt, der kommt am zweiten Samstag im Juli nach Sarsina und erlebt die römische Vergangenheit hautnah.
Text und Bilder: Petra Pettmann M.A., Journalistin & Archäologin
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